2014-05-01_polizisten_rechte_demo.jpg

Rechtsextreme Demonstration in Plauen 2014
Rechtsextreme Demonstration in Plauen 2014
Foto: 
Thomas Witzgall

BJVreport

Rechtsextremismus in sozialen Netzwerken: Sie wissen nicht, was sie tun sollen

Interview mit Thomas Witzgall von Endstation Rechts Bayern

München, 18.07.2019

Thomas Witzgall verantwortet seit 2012 das von der SPD Bayern betriebene Portal Endstation Rechts Bayern. Das Portal informiert über Rechtsextremismus in Bayern und anderswo. Anlass für dieses Interview war die Sperrung des YouTube-Angebots von Endstation Rechts Bayern Ende Mai 2019, siehe hierzu den Artikel im BJVreport 4/2019: Sie wissen nicht, was sie tun sollen – Von Desinteresse bis Zensur: Was soziale Netzwerke gegen rechte Propaganda tun. Das Interview führte Thomas Mrazek.

Was war Deine Motivation, Dich für dieses Portal zu engagieren?

Meine Motivation mit einem journalistischen Anspruch über die rechte Szene zu berichten ist schon viel älter und rührte hauptsächlich daraus, dass ich früher über die Berichterstattung über Demonstrationen sehr unzufrieden war. Es war häufig immer eine mehr oder minder exakte Kopie des Polizeiberichts, mit deren Schwerpunkten. Inhalt etwa: Die Einsatzleitung war zufrieden, beide Seiten getrennt zu haben. Und egal wie krude die Aussagen von rechts außen waren, die demokratische Seite erschien mit ihrer Gegendemo als das eigentliche Problem.

Heute nehme ich weite Strecken auf mich, um zu berichten. Ich war dieses Jahr u.a. schon in Dortmund, in Ostritz, in Themar. Die Berichterstattung ist heute definitiv intensiver, weshalb eigene Berichte auf der Website zurückgegangen sind und wir die sozialen Medien intensiver nutzen (Endstation Rechts Bayern ist bei Facebook, Instagram, YouTube und Twitter, Flickr; T.M.).

Ende Mai sperrte YouTube den Kanal von Endstation Rechts Bayern, mit welcher Begründung?

Ja, es war der Tag, an dem YouTube angekündigt hat, mehr gegen Hatespeech und Verschwörungstheorien zu unternehmen. Bei uns war dann die Begründung wiederholte Verstöße wegen angeblicher „Hatespeech“. [BR24, Christian Schiffer berichtete am 18.06.2019: Youtube sperrt bayerische Info-Seite gegen Rechtsextremismus, T.M.]

Du hattest bis dato 27 Videos dort veröffentlicht, u.a. zum Treffen des AfD-Flügels Anfang Mai in Greding. Welche Themen hast Du dabei aufbereitet?

Die früheren Video zeigten meist rechte Demonstrationen im Vorbeiziehen. Das war zur Unterstützung der Recherche und Auflockerung der Artikel. Sie sollten zeigen, wie groß die Veranstaltung etwa war, wie die Stimmung war, welche Parolen wurden gerufen, welche Banner gezeigt. Videos aufbereiten, schneiden und mit Erklärungen versehen, machen wir erst seit ein paar Monaten.

Wir lehnen uns an an die Dokumentationen der Berliner Initiative Jüdisches Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus, JFDA e.V.

Wir sind da auch noch am Testen, was funktioniert und was nicht.

In Greding sollte es hauptsächlich darum gehen, welche bekannten AfD-Funktionäre sich zum Flügel um Björn Höcke bekennen. Die Veranstaltung wurde in den sozialen Netzwerken als süddeutsches Treffen beworben. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hatte im Januar die Organisation als „Verdachtsfall“ eingestuft.

Es war die verlässlichste Form festzustellen, welcher Abgeordnete und welcher Funktionär sich nach der Entscheidung noch zum Flügel bekennen würde. Der Schwerpunkt lag dann situationsbedingt dann auf der Dokumentation von Behinderungen journalistischer Arbeit durch einzelne Kader der AfD. Und wir konnten die „Arbeitsbedingungen“ zeigen. Wir waren ja ständig Beleidigungen ausgesetzt und dann wurde auch noch versucht, unsere Kameras zu entwenden. Dass dann auch noch Kader der Identitären Bewegung teilnehmen würden, war unvorhergesehen.

In Bad Reichenhall war der Gedanke, dieses vergessene Treffen in Erinnerung zu rufen. Es dürfte für viele eine Neuigkeit sind, dass es hier jährlich ein Treffen gibt, bei dem nicht nur ungeniert und ohne Gegenprotest Soldaten der Waffen-SS gedacht wird, sondern auch versucht wird, eine erneute Traditionslinie zu schaffen für heutige Kader. Und da sind auch durchgehend Jugendliche und Kinder dabei, wenn auch nur wenige.

Welche Inhalte zeigst Du in Deinen Videos, was vermeidest Du schon beim Filmen aufzunehmen oder was schneidest Du später raus?

Ich filme nicht durchgehend und mache dazwischen Fotos. Ich will vor allem Inhalte zeigen, die auch hinter die wohlklingende Propaganda blicken. Wenn ein Kader in seltenen Momenten von der Bühne schreit, der demokratische Staat sei sein Feind, oder tatsächlich sowas wie einen Rassenkrieg beschworen wird, bringe ich das.

Dann bekomme ich zwar Ärger mit YouTube, den ich nicht hätte, wenn ich zehn Videos mache mit Aussagen wie „Wir wollen mehr für die deutsche Familie machen“. Aber ich glaube, dass solche harmlosen Aussagen der rechten Szene eher dienen, als kurze Ausschnitte, wo ihre Ideologie klar artikuliert wird, wenn sie zu Gleichgesinnten reden, in Worten, die ihre Anhänger hören wollen.

Es sind ja immer öffentliche Veranstaltung, daher nehme ich von der Aufzeichnung her erst mal „alles mit“, was sich in der Stresssituation – ja, das ist es – realisieren lässt. Einen kleinen Drehplan habe ich schon im Kopf. Erst später sehe ich mir die einzelnen Videos an und entscheide zwischen brauchbar und unbrauchbar, sowohl qualitativ als auch fürs Storytelling.      

Welche Grenzen gibt es für Dich bei der Dokumentation rechter Aktivitäten aus ethischer Sicht?

Ich achte darauf, mein Gegenüber trotz deren Ideologie nicht herabzuwürdigen, normale Bilder zu nehmen, die ich auch nehmen würde, wäre das jetzt ein Teilnehmer oder Redner einer demokratischen Kundgebung. Die Person soll für ihre Ideologie kritisiert werden und nicht wegen ihres Aussehens. Ich habe auch schon Fotos von Neonazis wieder aus Facebook genommen, nachdem die Kommentare in Richtung Bodyshaming gedriftet sind.

Da die rechte Szene sich immer mehr in geschlossenen Foren sammelt, halte ich auch den Einsatz von „verdeckten Ermittlern“ – sprich Fake-Profilen – für legitim, solange sie sich in diesen Gruppen passiv verhalten und niemanden zu Aussagen oder bestimmten Verhaltensweisen animieren. Wir hatten ja auch zusammen mit der Aktivistengruppe „Die Erdlinge“ ein Foto öffentlich gemacht, dass einen AfD-Kandidaten für den Bezirkstag Oberbayern beim Hitlergruß zeigt. Das kam über so ein Fake-Profil heraus. Der Kandidat zog zurück und trat aus der AfD aus.

Problematisch fand ich vor kurzem das Vorgehen von SPIEGEL.TV. In Ostritz drohte der NPD-Kader Thorsten Heise einem Kollegen des NDR, „der Revolver ist schon geladen“ und nannte ihn beim Namen. Er relativierte die Drohung, in dem er den Kollegen einen angenommenen ungesunden Lebenswandel vorwarf und ihn so menschlich herabwürdigte. SPIEGEL.TV hat nur den Namen des Kollegen überblendet, aber die ganzen Beleidigungen gesendet. Das hätte man anders lösen können, ohne die Tatsache, dass Heise die Morddrohung gleichsam relativiert hat, zu verschweigen.  

Deine Videos haben mitunter sehr gute Abrufzahlen, kannst Du dazu etwas sagen? Das AfD-Video zu Greding wurde allein auf Youtube über 100.000 Mal abgerufen …

Das Greding-Video hat auf Twitter aktuell 263.000 Aufrufe. 59.000 waren es nach einer Woche und dann hat es zuerst Bodo Ramelow [Ministerpräsident des Freistaats Thüringen, T.M.] noch retweeted und danach Jan Böhmermann und alles noch mal in die Höhe gejagt. Ein Kollege aus Thüringen hatte mit einem einfachen Video vom Beginn der Neonazi-Demo am 1. Mai in Plauen über 460.000 Aufrufe.

Manchmal trifft auch so ein kleiner Ausschnitt auf ein großes Interesse. Wobei es immer auch ein Zwiespalt ist. Setzt man ein Foto oder ein Video schnell auf Twitter und erlaubt so Medien ein kostenloses Einbinden von fremdem Content oder hofft man drauf, das Material später noch vermarkten zu können. Die erste Variante bringt höchstens mehr Bekanntheit und ein paar neue Follower.

Ob die Sperrung aufgrund algorithmischer Erkennung oder einfach aufgrund einer Beschwerde eines Nutzers erfolgte weißt Du bis dato nicht? Wünscht Du Dir da von den Betreibern solcher Plattformen mehr Transparenz?

Ich weiß es nicht. Die Sperre kam wie gesagt an dem Tag, an dem ein härtes Vorgehen gegen Verschwörungstheoretiker und Hatespeech angekündigt wurde. Wir hatten bis dahin ein gelöschtes Video aus 2018 (Redner droht seinen Richtern) und ein Video, jenes aus Bad Reichenhall, war eingeschränkt worden als ungeeignet für alle Zuschauergruppen. Vor Ort, unter den Augen der Polizei durften Jugendliche und Kinder teilnehmen. Ich glaube nicht, dass es eine Meldewelle von Rechten war, dazu war der Kanal auch zu klein und wir hatten vor der Löschung eigentlich keine Probleme. 

Wie läuft das Beschwerdemanagement bei YouTube ab: Gibt es da festgelegte Ansprechpartner? Du hattest ja zunächst nur Kontakt mit einer PR-Agentur?

Momentan ist der Kanal wieder da, aber alle alten Videos sind gesperrt. Ich kann wieder neue Videos hochladen. Die alten sind noch verzeichnet, als einzigen Bearbeitungsschritt wird mir aber nur Löschung angezeigt, egal, ob darin rechte Aussagen vorkommen oder nicht.

Die Beschwerde über das Formular war nicht hilfreich. Es gab keine Referenz- oder Vorgangsnummer, auf die man sich beziehen konnte. Nach ein paar Tagen kam diew Antwort, dass man bei der Entscheidung bleibe, was dann aber auch den Entwicklungen widersprach.

Und um das noch mal klarzumachen: in keinem Video war eine nach deutschem Recht strafbare Handlung zu sehen oder zu hören.

Ich hatte über einen Kollegen, bei dem ein Video gesperrt war, Kontakt zu einzelnen Pressesprechern und der PR-Agentur herstellen können. Ich habe jeweils unsere Tätigkeit beschrieben, Bilder vom Presseausweis mitgeschickt, auch die Stellungnahme des BJV bei Facebook.

Alles in der Hoffnung, dass die YouTube-Leute schnell erkennen, warum wir rechte Aussagen in den Videos zeigen. Wir wurden immer nur vertröstet, teilweise hieß es, „das Team“ schaue sich das noch genau an und es könnte sein, dass die Entscheidung in Irland oder USA getroffen wird. Keine Ahnung, ob und was die sich angeschaut haben.

Ich hatte auch angeboten, die Kommentarfunktion abzuschalten und alte Kommentare zu löschen. Gefühlt hat man bei YouTube verglichen mit den anderen Plattformen am schnellsten extrem rechte Kommentare unter seinen Beiträgen. Das hat aber niemanden, mit dem ich gesprochen habe, interessiert. Kommentare und Interaktionen sind offensichtlich nicht das Problem, worauf YouTube reagiert.

Letzter Stand Ende Juli war, dass Google Dir nun zugesteht – wenn ich es richtig interpretiere – mit einer distanzierenden Erklärung solche Inhalte zu veröffentlichen. Hältst Du diese Lösung für machbar in Deiner künftigen Arbeit?

Momentan kämpfe ich um eine Einzelfallprüfung der alten Videos, um nicht alles neu hochladen zu müssen und damit die Links, etwa auf Twitter, erhalten bleiben. Eine distanzierende Erklärung bei neuen Videos einzublenden, ist technisch kein großer Aufwand.

Aber eigentlich ist es verrückt. Man stelle sich vor, der BR, die SZ, das Jüdische Forum (JFDA) oder der Journalist Martin Kaul müssten nach einer Minute Beitrag über Pegida einblenden, dass sie nicht hinter den Redeinhalten stehen. Und was ist, wenn Neonazis das auch in ihre Propaganda-Videos kurz einblenden oder Rechtrockbands, kurz gefolgt von einer Tafel mit einem Zwinker-Smiley? 

Auch bei Facebook gab es für Dich in letzter Zeit hin und wieder – kurzfristig über einige Stunden – Sperrungen – läuft dort das Beschwerdemanagement für Dich besser?

Dort häufen sich momentan die Schwierigkeiten, nachdem wir Jahre Ruhe hatten. Das war aber beide Mal bedrohlich, weil es kurz vor den Veranstaltungen in Ostritz und Themar war und mich Facebook gleich für drei Tage sperren wollte.

Die Sperre war nach zwei bzw. vier Stunden wieder weg, auch wenn die Fragezeichen bleiben, was genau bei den beiden Bildern die Tätigkeit ausgelöst haben könnte. Aber auch hier bräuchte es auf Facebook eine geschützte Kategorie für journalistische Projekte, in der die Sperre nicht auf dem Fuß folgt und man auf die Überprüfung warten muss, sondern bei dem die Sperre erst aktiv wird, wenn sich ein oder zwei Menschen das angesehen haben oder Facebook einen auffordert, gewissen Content zu entfernen ohne Sperre.

Ich stelle mir gerade vor, wie ein Journalist oder eine Journalistin eines kleinen Mediums zum Live-Bericht via Smartphone irgendwo hingeschickt wird, z.B. ein Brand oder ein Banküberfall, und Facebook sperrt für ein nichtiges und längst vergessenes Foto aus 2014, wie es bei uns letztens war. Selbst wenn die Sperre nach zwei Stunden weg ist, ist der Schaden angerichtet. 

Du warst kürzlich auch beim Vortrag des Kollegen Richard Gutjahr zu Gast, der über das für ihn und seine Familie fatale Beschwerdemanagement hinsichtlich seiner Person berichtete. Was könnten, was müssten die Netzwerke besser machen um das in den Griff zu bekommen?

Ohne jetzt detaillierten Einblick in die Konzerne zu haben, aber ich glaube, dass an wesentlich mehr Stellen Menschen das letzte Wort haben müssen. Auch braucht es zum Kampf gegen Verschwörungstheoretiker, Rassisten, Neonazis, Antisemiten und dergleichen, einen intensiven Austausch der Betreiber mit NGOs und Expertinnen und Experten. Das passiert ja momentan schon, aber offensichtlich noch zu wenig. Vielleicht braucht es auch mehr Aufstand von innen. Richard hat da ja was angedeutet.  

Kann denn der Gesetzgeber etwas gegen die Verbreitung von Hass im Netz tun? Welche Wirkung hat Deiner Ansicht nach das NetzDG?

Ich glaube, das NetzDG ist noch zu jung, um eine Bewertung abgeben zu können. Es werden ja jetzt gerade die ersten Bußgelder verhängt. Aber ich bin ein Fan davon, dass die Regeln des Real Life auch in den virtuellen Netzwerken gelten.

Was es nicht braucht, sind sicherheitspolitische Dinosaurier wie die Vorratsdatenspeicherung, die ja gerade wieder in die Diskussion geworfen wurde vom bayerischen Justizminister [bspw. berichtet Spiegel Online/DPA am 08.07.2019: Justizminister Eisenreich – Bayern fordert Vorratsdatenspeicherung gegen Hasskommentare, TM]. Es gibt genügend Beispiele wo es auch ohne ging. Bekannt ist etwa der Stream der AfD von einer Demonstration in Deggendorf, bei der Geflüchtete ihre Rechte einforderten. Die Kommentare führten zu einer Reihe von Strafverfahren und Verurteilungen [siehe u.a.: BR24, Sarah Beham: Facebook-Hasskommentare: Fast 100 rechtskräftige Verurteilungen, T.M.].

Was der Staat noch machen kann, ist, die Beamten fitter in Sachen Social Media zu machen. Und wahrscheinlich braucht es auch mehr IT-Experten, um der Verteidigungsstrategie „Ich war das nicht, ich bin da gehackt worden“ auf den Zahn zu fühlen.

Weitere Informationen zum Thema:

Seit Ende Juli 2019 gibt es die FairTube-Kampagne, eine gemeinsame Initiative der IG Metall und der Youtubers Union, mehr dazu unter fairtube.info: „FairTube ist eine Kampagne mit dem Ziel, mehr Fairness und Transparenz für alle YouTube-Creator zu schaffen.“

BJV-Newsletter abonnieren!

Hier können Sie unseren kostenfreien Newsletter abonnieren. Bitte geben Sie Ihre E-Mail Adresse an. Das System sendet an diese Adresse einen Link, mit weiteren Informationen zum Abschluss der Anmeldung.